[be.st]architektur texte

Benjamin Stangl

Wir haben glatte Fassaden, weil wir nicht für richtige Ornamente bezahlen wollen (Rem Koolhaas).

Es ist erstaunlich, mit welchem Ideenreichtum in manchen Kunstrichtungen seit jeher Künstler Ornamente hervorgebracht haben. Man kann sich jedoch fragen, warum die Fähigkeit Ornamente zu erfinden in manchen Epochen stärker war als in anderen, und umgekehrt. Wir sind von einer Unzahl an Ornamenten umgeben, doch uns ist weitestgehend die Fähigkeit abhanden gekommen, Ornamente zu lesen und zu verstehen.

Auch in der Architektur gibt es Ornamente (Bauornamente), die neben der Funktion des Schmückens zusätzlich die Funktion des Gliederns haben (vgl Koepf 1999, S. 349). Hier kann auf Sempers Theorie verwiesen werden, nach der sich die Architektur aus der Textilkunst entwickelt hat. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch die Theorie von Karl Böttich, der zwischen einer Kernform und einer Kunstform unterscheidet. Die Frage nach dem Ursprung des Ornaments ist also ummittelbar mit den Beginn der Architektur verbunden. Dies legt die Vermutung nahe, dass sich das Dekorative und das Konstruktive gleichzeitig in der Architektur entwickelt haben und demnach auch den gleichen Stellenwert besitzen. 

Warum kam es aber mit der Moderne zu einer derartigen Abkehr vom Ornament? Man könnte argumentieren, dass heute die technischen Voraussetzungen dafür gegeben sind, glatte Fassaden herzustellen. Früher hatte man keine Maschinen und war gezwungen alles mit der Hand anzufertigen, wodurch ein exakter rechter Winkel schwierig herzustellen war. Dieses Argument mag zwar eine Erklärung für runde geschwungene Formen sein, jedoch nicht dafür, warum wir heute glatte Fassaden haben. Denn die damals mit großem Aufwand gefertigten Ornamente wären mit der heute verfügbaren Technik wesentlich leichter und einfacher herzustellen. 

Vielleicht liegt die weitestgehende Ornamentlosigkeit aber auch in den heute verwendeten Materialien wie Glas und Stahl begründet, die industriell als Massenware gefertigt in gerader rechteckiger Form am universellsten einsetzbar sind. Dagegen würde sprechen, dass ein weiterer Baustoff - der Beton - in jeder erdenklichen Form konstruierbar ist. Für Beton benötigt man andererseits auch immer eine Schalung, sodass die selbe Argumentation wie für Stahl und Glas gilt. 

Diese Logik führt zu dem Schluss, dass das Ornament aus wirtschaftlichen Gründen verschwunden sein könnte. Auf die Frage einer Journalistin, warum wir heute glatte Fassaden haben, antwortete Rem Koolhaas etwas lakonisch und in seiner üblichen Ironie: „Wir haben glatte Fassaden, weil wir nicht für richtige Ornamente bezahlen wollen. Das ist eine Frage des Geldes, architektonische Argumente gibt es keine“ (Koolhaas nach Znidaric 2006).

Dem kann entgegengehalten werden, dass gerade Banken und Firmen, denen kein Geldmangel nachgesagt werden kann, auf eine ornamentierte Fassade verzichten. Dies würde allerdings voraussetzen, dass das Ornament ein Zeichen für Reichtum und Luxus und dadurch auch für Macht ist, was sicherlich seine Berechtigung hat. Folgt man dieser Argumentation, könnte eine Verschiebung der  Werte, nämlich dass Ornamente eben kein performatives Zeichen mehr für Reichtum und Macht sind, der Grund für das Verschwinden des Ornaments sein. 

Ein wesentlich praktischerer Grund, glatte Fassaden zu bauen, wäre, dass diese leichter zu reinigen sind. Tatsächlich wirken raue Oberflächen schmutziger und sind schwerer sauber zu halten. Vielleicht ist es der schon oben angesprochenen Wertewandel, nämlich dass Sauberkeit, Hygiene und in weiterer Folge auch die Gesundheit in unserer heutigen Zeit einen höheren Stellenwert besitzen als früher. Dies kann durchaus zutreffen. Hätte man vor hundert Jahren gefragt, was das Wichtigste im Leben sei, dann wären mit hoher Wahrscheinlichkeit Beruf und die Familie genannt worden. Heute sind Gesundheit und körperliches Wohlbefinden vorrangig. 

Eine sehr plausible Argumentation, warum wir heute weitestgehend ornamentlose Fassaden bauen, ist durch einen Blick in die Architekturgeschichte begründbar. Ähnlich wie Karl Marx die Geschichte der Menschheit als eine Abfolge von Klassenkämpfen bezeichnet, könnte die Architekturgeschichte als „Kampf“ um Bauherren gesehen werden. In diesem Sinne kann die loossche Maxime, dass Architektur reine Raumkunst sei, als eine Selbstverteidigung des Feldes der Architektur vor der besonders im Jugendstil starken Konkurrenz aus anderen Bereichen der Kunst interpretiert werden. Demnach wäre der Grund für das Verschwinden des Ornaments nicht das Ornament selbst, sondern eine Verlagerung des Schwerpunktes der Architektur und der Versuch, das architektonische Feld gegen andere Kunstrichtungen zu verteidigen.   

Viele der angeführten Argumentationen zielen darauf ab, dass dem Ornament durch eine Verschiebung von Werten die Funktion abhanden gekommen ist.

Vielleicht sind es aber nicht die Werte, die sich verändert haben, sondern das Ornament in seiner Erscheinungsform. Um dies prüfen, ist eine genaue Betrachtung des Begriffs und seiner Bedeutung notwendig.

Wie eingangs erwähnt besitzt das Bauornament neben der Funktion des Schmückens zusätzlich die Funktion des Gliederns (vgl Koepf 1999, S. 349).

Aus der Funktion des Gliederns kann durchaus ein Bezug zum Begriff des Rasters hergestellt werden, denn ein Raster ist nichts anderes als ein Ordnungsschema. So lässt sich der in architektonischen Kreisen „verpönte“ Begriff des Ornaments durchaus im Begriff des Rasters wieder finden, denn im Raster werden die im Ornament zentralen Begriffe wie Symmetrie, Ordnung und Harmonie ebenso  diskutiert.

Sind also durch Rechtecke und andere geometrische Formen organisierte Fassaden unsere heutigen Ornamente? Diese These lässt sich ebenfalls durch eine dem Ornament eigentümliche Eigenschaft stützen: Vorgehängte Glasfassaden erfüllen wie das Ornament, das „im allgemeinen nicht in den Aufbau des zu schückenden Objektes“ (Koepf 1999, S. 349) eingreift, ebenfalls keine statische Funktion.

Neben dem Raster können auch architektonische Details von Fassaden, wie zum Beispiel der Fassade des Institut du Monde Arabe in Paris von Jean Nouvel als Ornamente verstanden werden. 

Die Beschäftigung mit dem Ornament ist so gesehen durchaus eine Auseinandersetzung mit dem architektonischen Entwurf und schärft den Blick fürs Detail. Auf alle Fälle bildet sie einen Gegenpol zur Geschwindigkeit des heutigen Entwurfsprozesses, die durch diagrammatische Architektur vorangetrieben wird.


Verwendete Literatur
Koepf, H. (1999). Bildwörterbuch der Architektur. Stuttgart: Kröner.
Znidaric, Amelie (2006). Rem Koolhaas: Der Raumforscher. Die Presse (Schaufenster) vom 16.6.2006.

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